Haiku und Tanka, Jotin, 13.12. 2010 bis 02.01. 2011: Die Geburt Gottes im tief versunkenen Menschen, der sich von allen Anhaftungen gelöst hat.

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Die Geburt Gottes im tief versunkenen Menschen, der sich von allen Anhaftungen gelöst hat.

Im letzten Weblog wurde geschildert, wie man auf die 7. Ebene, die Schöpfer-Ebene gelangt, um dort an der Erkenntnis- und Schöpferkraft des Ewigen teilzuhaben. Zu diesem Zweck wurden Reisen durch die 7 Himmel mit ihren 49 Palästen unternommen, wie sie auch schon von Rabbi Akiba und seinen Anhängern durchgeführt wurden.

Die Mystiker haben herausgefunden, dass man Gott auf dem Grunde seiner Seele finden kann. Von unterschiedliche Ebenen des Seins, wie sie von dem Autor und anderen erfahren werden, wird dabei nicht gesprochen. Lediglich die heiliggesprochene spanische Mystikerin Theresa von Avila macht hiervon eine Ausnahme. In ihrer Schrift »Die innere Burg« (1577) beschreibt sie die Seele als eine Burg, bestehend aus einem Diamant oder einem sehr klaren Kristall mit 7 zum Zentrum hinführenden Stufen oder Wohnungen. Eingangstor in die Innenräume der Seele ist das Gebet. Die ersten drei Wohnungen werden dem aktiven Gebet zugerechnet Das passive Gebet setzt in der 4. Wohnung ein. Es kann als eine vertiefte Meditationsstufe gesehen werden, in der das sogenannte diskursive Denken weitgehend unterbunden ist  Im Buddhismus ist dies eine der Stufen des Samadhi. Das passive Gebet führt über die Einheit mit Gott (unio mystica) zur 7. Wohnung, wo nach Theresa „die tief geheimnisvollen Dinge zwischen Gott und der Seele vor sich gehen“. Die zum Zentrum hinführenden „Stufen“ oder „Wohnungen“, bezeichnen jeweils den Grad, mit dem die Seele mit dem Urgrund des Seins, mit Gott oder in anderen Glaubensrichtungen dem DAO oder der buddhistischen Großen Leere in Verbindung tritt und sich hierdurch Wirkungen nach außen zeigen. In der 7. Wohnung findet dann die völlige „Einung“ der Seele mit Gott statt. Sobald diese „Einung“ geschieht, nimmt die Liebe zum Mitmenschen sehr schnell zu. Für Teresa ist die Nächstenliebe einer der Beweise der Echtheit mystischer Gotteserfahrung.Eine Übereinstimmung mit den sieben Ebenen des Seins nach den Unterscheidungen des Autors dieses Weblogs besteht insofern, als sich die Verbindung der Seele mit dem Urgrund des Seins oder Gott nach Theresa von Avila sowie nach den Erfahrungen des Autors umso enger gestalten kann, je höher die Ebene ist, auf die man gelangt. Auf der siebten Ebene bzw. der höchsten Ebene, der Schöpfer-Ebene oder Ebene des Ewigen ist die engste Verbindung möglich. Der Meditierende erfährt dort in tiefer Versenkung den größten Energie-Zuwachs. Auch sind dort die sich nach außen zeigenden Veränderungen am auffälligsten. Wenn die Verbindung zur siebten Ebene, der Ebene des Schöpfers, auch außerhalb der Meditation aufrecht erhalten wird, dann begegnet man seinen Mitmenschen sowie der übrigen Schöpfung, belebten wie anscheinend leblosen Dingen (tatsächlich sind alle Dinge beseelt) wie von selbst wesentlich liebevoller.

Der Autor kann dies zu seiner anfangs großen Verwunderung auch bei sich beobachten, wenn er, soweit ihm dies möglich ist, die Verbindung zur siebten Ebene im Alltagsleben eine Zeitlang aufrecht erhält.  

Der Theologe und Mystiker Meister Eckehart lehrt, dass es in der menschlichen Seele einen Ort gibt, nämlich den Seelengrund, an dem Geschöpf und Schöpfer einander treffen und sich miteinander vereinigen können. Die Vereinigung der Seele mit Gott nennt Meister Eckehart die Geburt Gottes im Menschen. Gleichzeitig ist sie nach Eckehart auch die Geburt des Menschen in Gott. Voraussetzung für diese Geburt ist, dass sich die Seele in Gelassenheit und Abgeschiedenheit von der Gebundenheit an die äußeren Dinge der Welt gelöst hat. Ja, selbst das eigene individuelle Bewusstsein muss preisgegeben werden. Dann kann Gott gar nicht anders, wie Eckehart sagt, als sich mit der menschlichen Seele zu vereinigen. „Im nämlichen Augenblick aber, wo mir meine Persönlichkeit entgleitet“, heißt es in einer seiner Predigten,

“überflutet mich die Fülle des Lebens; Erkenntnis, Freude, Liebe. Ich bin Gott in Gott…“

Eckehart weiß von einer „Kraft“, von der Wirkungen ausgehen, die durch keine menschliche Aktivität zu ersetzen sind.

„In dieser Kraft ist Gott ohne Unterlass glimmend und brennend mit all seinem Reichtum, mit all seiner Süßigkeit und mit all seiner

Wonne.“

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Auch die Taoisten kennen die Verbindung mit dem Urgrund des Seins bzw. dem Absoluten, im Tao-te-king TAO genannt. In tiefer Versenkung wird TAO als ewig, spontan, namenlos, unbeschreiblich, wunderbar und tief erlebt. Taoisten sprechen mit der gleichen Begeisterung vom TAO wie Meister Eckehart von Gott. Ebenso soll auch in der Stille das Ich zu TAO werden und TAO zum Ich, wenn beide auch nicht identisch sind. Das Erreichen des TAO wurde von dem altchinesischen Philosophen und Dichter Zhuangzi  folgendermaßen gepriesen:

Sie zu erreichen (die Kraft des TAO), ist höchte Schönheit und höchste Seligkeit…“

In „Die Erfahrung der Goldenen Blüte“, einem Basistext taoistischer Meditation aus dem China des 12. Jahrhunderts (O.W. Barth Verlag, 2000) heißt es (auf Seite 130): 

„In der Stille finden Geist und Gefühl zu tiefer und bleibender Heiterkeit und Fröhlichkeit, als wären sie berauscht und neu gebadet. Dies bedeutet, dass der ganze Körper von Yang und Harmonie erfüllt ist, wie ein heller Frühlingstag. Dies ist das Knospen der Goldenen Blüte.“

In dem genannten Text ist auch näher beschrieben, wie der Mensch mit dem TAO in Einklang kommen kann. Der taoistische Weg ist dem der christlichen Mystiker sehr ähnlich, wenn auch die Philosophie dahinter unterschiedlich ist. Auch bei den Taoisten spielt das „Sitzen in Stille“, die Meditation, eine große Rolle. Ebenso sollen auch alle äußeren Aktivitäten aufgegeben werden und der Geist sich aus seinen Verhaftungen und Verstrickungen lösen, die sich aus dem Wirken des unterscheidenden Bewusstseins ergeben. Die Goldene Blüte steht für das „Licht“ des reinen Yang, das erfahren wird, wenn das unterscheidende Bewusstsein, das reine Yin, frei von allen Anhaftungen an die äußere Welt in tiefer Meditation versunken ist.  Die Erklärung dafür, warum eine Verbindung mit dem Urgrund des Seins, dem TAO, zustande kommen kann, ist in der altchinesischen Mystik folgende: Der Geist (shen) unterteilt sich nach taoistischer Vorstellung in den Geist des unterscheidenden Bewusstseins und den sogenannten Ur-Geist, das ist der Geist des harmonischen, dynamischen TAO-Mysteriums, das den ganzen Kosmos durchdringt. Es geht darum den Urzustand des Geistes, da er dem Ur-Geist gleich war, wiederherzustellen. Dann kann das Licht des Urgeistes aufscheinen und den Menschen zu TAO verwandeln. Dazu muss der Geist aus seinen Anhaftungen an die Dinge der Welt befreit werden, in die ihn der Geist des unterscheidenden Bewusstseins, die Yin-Seele, verstrickt hat. Außerdem muss bei höchster Aufmerksamkeit alles (schlussfolgernde) Denken überwunden werden. Dementsprechend wird das TAO auch wie von den Buddhisten als die große Leere des Weges erfahren, deren (feinstoffliche) Energie allerdings unerschöpflich ist. Die chinesische Mystik ist eng mit dem I-Ging verflochten, dessen 64 Hexagramme letztlich alle zum TAO, dem Weg bzw. der kosmischen Ordnung zurückführen sollen. Das Orakelwesen hat die Mystik beeinflusst und die Erfahrungen der Mystiker sind umgekehrt auch in das I-Ging eingeflossen. Ein Beispiel hierfür bildet Hexagramm 30. Die folgende Deutung dieses Hexagramms wurde in verkürzter Form dem Buch „Das Dreifaltige Himmelszelt im Entschlüsselten I-Ging“ entnommen.  

  

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Die Ordnungszahl 30, mit der das Hexagramm im I-Ging erscheint, besteht aus einer Drei und einer Null. Die Drei war im Alten China die Zahl des Menschen. Mit der Null wurde das TAO bezeichnet (die „Leere“, welche den Wert einer Zahl verzehnfacht, wenn eine der neun anderen Ziffern davorsteht.) In den Jahrhunderten vor dem Beginn unserer Zeitrechnung, in der das I-Ging seine heutige Form erhielt, wurde in China bereits mit dem Zehnersystem sowie der Null gerechnet, allerdings wurde die Null auf eine andere Weise dargestellt als heute. In der Ordnungszahl 30, mit der Hexagramm 30) „Das Ausstrahlen, Helligkeit, Feuer“ im I-Ging erscheint, verbinden sich also sozusagen Mensch und TAO. Da das Hexagramm selber „Das Ausstrahlen“ darstellt, wird durch die Verbindung von Mensch und TAO das Ausstrahlen geboren, nämlich ein allseitig ausstrahlendes Licht, das Klarheit und Bewusstsein verbreitet und auch als Erleuchtung bezeichnet wird. Das Doppelzeichen Feuer, Hexagramm 30, kann als Symbol dafür angesehen werden, was geschieht, wenn sich der Mensch über längere Zeit hinweg in tiefer Versenkung mit dem TAO verbindet. In Basistext taoistischer Meditation „Die Erfahrung der Goldenen Blüte“ wird auch gesagt, dass hierdurch das „Geistfeuer“ entfacht wird.

Wer einen spirituellen Weg geht, beginnt schließlich auf der feinstofflichen Ebene zu „strahlen“. Der Heiligenschein um den Kopf kann als Zeichen hierfür aufgefasst werden. Heilige bzw. Erleuchtete wurden sowohl im Christentum als auch im Buddhismus auf diese Weise dargestellt. In den östlichen Kulturen war auch eine Aureole um den Körper insgesamt üblich. Der Heiligenschein bzw. die Aureole bedeutet, dass der Mensch, der auf diese Weise dargestellt wird, sich auf der feinstofflichen Ebene in ein „Lichtwesen“ verwandelt hat, dessen Ausstrahlung Menschen in seiner Umgebung positiv beeinflusst und ebenfalls verwandelt. Walter Ötsch, ein Wissenschaftler, der sich mit diesem Thema befasst hat, vertritt eine ähnliche Auffassung. Er schreibt:„Der Heiligenschein auf mittelalterlichen Bildern ist nicht nur eine Aussage des Malers: „Diese Person, die da gemalt wird, ist eine heilige Person“; sondern Ausdruck einer kollektiven Wahrnehmungs-Form, die der Maler mit seinen Zeitgenossen teilt: bei manchen Menschen SIEHT und SPÜRT man intensive Ausstrahlungen. In ihrer Gegenwart FÜHLT man sich verwandelt. Sie strahlen eine besondere Atmosphäre aus, ein Fluidum umgibt sie. Man SIEHT ein Gesicht oder einen Körper und SPÜRT eine intensive Kraft, die nur vom Göttlichen kommen kann. Man erfährt die leuchtende Aura eines „Heiligen“, die man in einem Bild wiedergeben muss.“

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Wenn die Philosophie der fernöstlichen Mystik sich auch beträchtlich von der westlichen unterscheidet, so sind die religiösen Erfahrungen jedoch ähnlich. Dies geht auch aus den folgenden Beobachtungen hervor:

Ein Jesuitenpater, der Ire William Johnston, der Sommer 1968 an einer Begegnungswoche zwischen Christentum und Buddhismus in Kyoto teilnahm, schrieb hierüber folgendes:

„Als wir nämlich unsere Vorschläge, auf die wir uns geeinigt hatten, formulieren wollten, schien es nicht eine einzige philosophische oder theologische Lehre zu geben, die wir gemeinsam vertraten. Eine unüberbrückbare Kluft schien diejenigen, die an eine Seele, an ein Absolutes und die Objektivität der Wahrheit glauben, von denen zu trennen, die vom Nirvana, dem Nichts und der Leere sprachen.Dass wir dennoch vieles gemeinsam hatten, bewies die Atmosphäre des Sichverstehens und der taktvollen Liebe, von der diese Woche durchdrungen war. Sehr bald wurde uns klar, dass es nicht die Philosophie war, die uns verband, sondern die religiöse Erfahrung. In den philosophischen Formulierungen trennten uns Welten voneinander. Sobald es aber um Werte ging wie Meditation, Armut, Demut, Dankbarkeit, Gewaltlosigkeit und Liebe zum Frieden, waren wir uns einig. Es war in der Tat erstaunlich, dass solch unterschiedliche Philosophien derart ähnliche Erfahrungen hervorbringen.“

 

  

 

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